Als Shannon den Antiquitätenhändler Johnathan McKenzie kennen lernt, scheint ihr Glück vollkommen. Umso härter trifft es sie, als John durch Verschulden seines Bruders Darius bei einer Explosion umkommt.
Es folgt die Flucht aus Paris, nachdem Shannon sich eingestehen muss, Johnathans Tod nicht verwinden zu können. Gerade als sie die Kraft aufgebracht hat, in ihrem geliebten Schottland ein neues, wenn auch zerbrechliches Leben auf Dunstan Cottage zu beginnen, erscheint Adrian, ein guter Freund aus Paris und bringt ihr die Nachricht, vor der sie sich bereits seit langem fürchtete. Darius ist zurück und will den Kampf um Johnathans Erbe antreten.
Und so muss Shannon den schweren Weg zurück nach Paris wagen - in ihre Vergangenheit und die Erinnerungen - und trifft schon bald auf die Person die ihr Leben und die Hoffnung auf eine glückliche Zukunft zerstört hat.
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Der Geruch des Seinewassers und des Schiffes holten sie aus ihren
Gedanken zurück. - Langsam ging sie unter Deck.
Als sie den großen Raum sah, schnürte es ihr für einige Sekunden die Kehle zu.
Sie war zurück, und sie war alleine.
In ihrer Erinnerung sah sie sich das erste Mal hier eintreten, und sie dachte daran, wie all diese verschiedenen Eindrücke der Kunstgegenstände und das Arrangement der Dinge sie gefangen genommen hatten. Langsam ging sie die Stufe hinauf zum Bett, und öffnete zaghaft die Tür zum Badezimmer. Sie blickte in den verlassenen Raum. Alles stand an seinem Platz, als wären John und sie nur für ein paar Stunden in der Stadt gewesen.
Adrian hatte sie beobachtet. Als sie sich zu ihm wandte, erkannte
er, daß sie wieder diesen leeren, unglücklichen Ausdruck
in ihren Augen hatte. Es war wie damals, kurz bevor sie
verschwand. Wenn er hätte versuchen müssen, es jemandem zu
erklären, hätte er wohl gesagt, aus ihren Augen sei jedes Leben
verschwunden.
Als er sie im Cottage wiedergesehen hatte, war das anders gewesen.
Er erinnerte sich bei ihrem Anblick wieder daran, daß er
noch niemals eine Frau gesehen hatte, die mit ihren Augen so
lächeln konnte wie Shannon. Und nun war all das wieder vorbei.
Die Leere und der Schmerz hatten sie wieder eingeholt,
und das tat ihm weh.
„Ich möchte nicht, daß du hier bleibst. Fahr zu mir nach Hause
und warte dort, bis alles vorbei ist. Wir können uns morgen um
die Antiquitäten kümmern.“
Seine Stimme verriet die Sorge um Shannon. Und nur zu gerne
hätte sie ihm zugestimmt, wäre gegangen und hätte Darius nie
wiedergesehen. Aber sie hatte noch eine Rechnung mit ihm zu
begleichen. Es war unvermeidlich ihm gegenüberzutreten und
ihm wenigstens ein einziges Mal ins Gesicht zu sagen, was er zu
verantworten hatte. Es wäre wie fortzulaufen, wenn sie sich Darius
nicht stellen würde. Etwas, das sie sich niemals verziehen
hätte.
„Ich kann nicht. Da gibt es etwas, was ich mit ihm klären muß.
Er ist nicht stärker als ich. Er ist vielleicht rücksichtsloser, hartherziger und schlecht, aber er ist nicht stärker. – Ich muß wissen,
was genau passiert ist.“
Adrian wußte bei einem Blick in ihre Augen, daß sie nicht davon
abzubringen war. Er ging in die Küche und setzte Teewasser
auf.
Während sie vor dem Kamin saßen und ihre Hände an den
warmen Tassen rieben, überlegten sie, wo sie Johnathans Schätze
sicher unterbringen könnten. Es gab zwei oder drei Sachen,
die Shannon gerne mitnehmen wollte. Langsam erhob sie sich
und ging durch den Raum. Eine Statue aus dem 14. Jahrhundert.
Sie zeigte zwei Gestalten, die aussahen wie Engel, ein
Mann und eine Frau, in weiche seidene Tücher gehüllt. Sie hatte
Flügel und er schien sie anzusehen und darum zu beneiden.
John hatte oft davor gesessen und gesagt, er wäre dieser Mann.
Er würde Shannon beneiden um ihre Fantasie, ihre Flügel, mit
denen sie der Wirklichkeit entrinnen konnte, wann immer sie
wollte. Es war eine wirklich große Gabe für ihn, und damit setzte
er sie auf einen Thron. In seinem Blick hatte sie so oft die
Verehrung gespürt, und es war ein wundervolles Gefühl gewesen.
Niemals hätte sie einen Vorteil daraus gezogen, und niemals
hatte sie sich anmerken lassen, daß sie es bemerkte, aber
es war schön. Ihre Hände streichelten über den kühlen samtigen
Marmor, und Tränen liefen über ihre Wangen.
Das zweite war eine große hölzerne Truhe. Sie war sehr alt, aber
nicht wirklich wertvoll. In ihr wurden all die Dinge gehütet, die
ihr Leben mit Johns verbunden hatten. Bilder, Ansichtskarten,
Briefe, Andenken, die sie in irgendeiner Bude gekauft oder auf
dem Jahrmarkt gewonnen hatten, und sogar noch die Speisekarte
von dem Restaurant, in dem sie in ihrer zweiten Nacht
gegessen hatten. Weiter unter lagen, in eine Decke gehüllt, Bilder
von Johns Familie. Bilder von Highlandern in Kilts, Portraitaufnahmen und ein Familienfoto. Alle waren sehr alt und vergilbt, und auf keinem konnte sie Johnathan wiedererkennen. Noch weiter unten in der Truhe fand sie ein altes Ölgemälde. Es zeigte ein Schloß in der Wildnis der Highlands. Daneben
wand sich ein Fluß durch eine grüne Landschaft und verschwand
in einem kleinen Waldstück - das Schloß der McKenzies.
Je länger sie das Gemälde ansah, desto größer wurde ihr
Wunsch, zurückzukehren in ihre neue Heimat, und so legte sie
es behutsam wieder weg und schloß die Truhe.
Langsam stand sie auf und sah zu Adrian, während sie auf eine
Kommode zuging, auf der der dritte Gegenstand lag, an dem ihr
Herz hing. Auf zwei bronzefarbenen Metallständern lag er.
„Und dieses Schwert werde ich mitnehmen. John hat mir damit
gezeigt, wie man kämpft. - Wir sind manchmal hinausgefahren,
in den kleinen Wald bei Laurence, und haben gekämpft. Er
sagt, es habe …“ Sie lachte, trotz der Tränen auf ihren Wangen.
„Er sagte, es hätte Bonnie Prince Charlie gehört, aber das
glaube ich nicht.“ Ihre Augen schlossen sich, und wieder sah sie
sein Gesicht, als er ihr diese mehr als unglaubliche Geschichte
erzählt hatte. Ein Schmerz brannte sich tief in ihr Herz, und ihre
Stimme wurde dünner als ein Seidenfaden, der von einer
Windböe gedehnt wurde. „Das, von dem er sprach, sah diesem
hier bestimmt sehr ähnlich. Es soll schon seit Jahrhunderten im
Familienbesitz der McKenzies sein. Sein Großvater hat es an
ihn übergeben.“ Sie wiegte das Schwert in ihren Händen.
Adrians Augen füllten sich mit Tränen.
Dies hier war die wahre Beerdigung des Johnathan McKenzie, seines besten Freundes.
Er ging zu einer Anrichte und öffnete die darauf stehende
Schatulle. Shannon wußte, was er herausholen würde, und ihr
Herz schien endgültig zu zerreißen.
„Ich hätte gerne diese Pistole als Erinnerung. Vielleicht weißt
du es. Ich wollte sie ihm einmal stehlen, kurz nachdem er mich
aufgenommen hatte, aber er erwischte mich natürlich. John
schrie nicht, er war auch nicht böse. Er sagte einfach nur: ‚Ich
schenke sie dir.’“ Adrian sah auf den Boden. „Ich legte sie damals
zurück und habe sie seitdem nicht mehr angerührt. Ich
konnte es nicht. Weil ich mich geschämt habe. – Sie würde
mich immer an ihn erinnern.“ Er sah zu ihr auf.
„Johnathan hätte es nicht anders gewollt. Nimm sie. Du hast sie
dir verdient. Er war so stolz auf dich, darauf, was du aus dir, aus
deinem Leben gemacht hast.“ Sie wandte sich von ihm ab und
wischte sich rasch die Tränen aus dem Gesicht. Hastig ging sie
zu Johns Kleiderschrank und holte dessen Lederjacke heraus.
Sie war alt und abgetragen, aber gerade das war es, was ihre
Schönheit ausmachte. Ein herber und gleichzeitig süßer Duft
von Roma verbreitete sich, als sie ihre Fingerkuppen in das alte
Leder grub und ihr Gesicht, obwohl sie es nicht wollte, in die
weichen Falten preßte. Sekunden wurden zu Stunden. „Die hier
hätte er dir auch gegeben. Ich weiß, du liebst diese Jacke, und
ich weiß, John hat schon oft mit dem Gedanken gespielt, sie dir
zu schenken. – Bitte nimm sie.“
Adrian berührte das Leder, als wäre es kostbarster Brokat. Als
er wieder zu Shannon sah, hatte diese sich abgewandt und den
Kopf in den Nacken gelegt, ihre Hände hielten etwas, das sie
auf ihr Gesicht drückte. Als er Johns Lieblings-Sweatshirt erkannte,
zerriß es ihm fast das Herz. Er hörte sie weinen, leise,
erstickt, und wagte nicht, sich ihr zu nähern.
Lautlos setzte er sich auf das Bett und erinnerte sich an eine wichtige
Zeit seines Lebens, als er Johnathan kennenlernte und dieser
aus seinem armseligen Verbrecherleben ein wertvolles
machte, ohne Zwang, ohne Vorschriften. Als Shannon, die sich
anscheinend wieder gefangen hatte, kurz im Bad verschwand,
putzte Adrian sich schnell die Nase und wischte die Tränen mit
seinem Ärmel weg. Er sah auf die Uhr und erkannte, es war inzwischen
schon fast Abend geworden.
Wieder zurück, wandte Shannon sich erneut dem Schwert zu.
Sie versuchte ihre Gedanken auf etwas Positives zu richten.
Keine Tränen mehr. John würde ihr neues Leben gefallen. Vielleicht
auch, weil es so nah mit dem seinen verknüpft war.
Die Tür wurde aufgerissen, und Darius stand da, wie Phönix aus der Asche. „Ich hoffe, ich störe nicht!“
Shannon erkannte ihn, obwohl sie ihn niemals vorher gesehen
hatte. Sie riß die Waffe in ihren Händen hoch, als wollte sie ihn
angreifen.
„Süße, was ist denn das für eine Begrüßung, nach so langer Zeit.
Und beim ersten Mal. Ich habe dich vermißt, ohne dich je gesehen
zu haben.“ Er kam auf sie zu, so nah, daß seine Brust die
Spitze des Schwertes berührte. Offensichtlich hatte er keine
Angst. Sein Haar war kurz, seine Figur sportlich, sein Anblick
ein Ereignis; fast eine atemberaubende Erscheinung, wenn da
nicht die Erinnerung gewesen wäre.
Shannon gab keinen Zentimeter nach. Seine Frechheit und
Kaltblütigkeit machten sie rasend.
„Das beruht nicht auf Gegenseitigkeit.“ Sie rührte sich immer
noch nicht.
„Du wirst mir nicht verzeihen, was ich getan habe. Ich wollte
dich sehen, mit dir sprechen, über all die Dinge, die geschehen
sind, aber du warst fort.“ Er sah sie an, und fast hätte man so
etwas wie Mitgefühl in seine Worte, seine Stimme hineininter-
pretieren können.
Adrian bemerkte zum ersten Mal, seit er Shannon kannte, Haß
in ihren Augen, und für einen Moment war er sicher, sie würde
die Kraft aufbringen, Darius das Schwert zwischen die Rippen
zu stoßen. Und wirklich machte sie einen schnellen Schritt vor
und während Darius versuchte, ihr auszuweichen, setzte sie ihm
die Klinge der Waffe an den Hals.
„Er war schon immer ein guter Lehrer.“ Er versuchte gezwungen
zu lächeln.
„Das du dich nicht gemeldet hast, war alles, was dich bisher am
Leben gehalten hat. Aber niemals, niemals, solange ich noch
atme, werde ich dir verzeihen, daß du der Grund dafür bist, daß
er sterben mußte. Denke daran, was auch immer dich hierher
geführt hat. Du bist für mich nichts als ein dunkler Schatten,
der sich auf eine wunderschöne Zeit gesenkt hat.“ Sie ließ das
Schwert sinken, und Darius wagte es, wieder zu atmen.
„Du bist verrückt, total verrückt.“ Auf seiner Stirn erkannte
sie Schweißtropfen, und auch wenn es nur sehr winzige
waren, erleichterte es sie. Seine Fassung war für einen kurzen
Moment dahin gewesen. Und auf einmal wollte sie die Wahrheit
gar nicht mehr wissen.
„Verschwinde von hier. Geh weg und komm nie wieder. Es gibt
hier nichts für dich zu holen. Gar nichts.“ Sie sah ihn an, noch
immer das Schwert mit beiden Händen umklammernd. Jetzt
spürte sie auch Adrian, der direkt hinter ihr stand.
„Du hast es gehört. Hau ab.“ Seine Stimme klang verächtlich.
„Ich habe ein Recht darauf, hier zu sein. Das alles hier gehörte
meinem Bruder, also gehört es auch mir. Eigentlich gehört es
jetzt nur noch mir.“ Er sah sich um, und seine Augen verrieten
seine Gier.
Shannon spürte ganz deutlich, daß der Zorn sie jeden Moment
überwältigen würde. Zum ersten Mal in ihrem Leben wollte sie
jemanden verletzen, und sie erinnerte sich an Johnathans Worte,
als er einmal über seinen Bruder sprach.
„Du hast keine Familie mehr, weil du es so wolltest, du hast
keinen Bruder und keine Freundin mehr, weil du sie umgebracht
hast. Und du wirst auch das ‚Erbe’, auf das du es ganz offensichtlich
abgesehen hast, nicht bekommen. Nicht ein Stück. Er hat dich durch-
schaut. In seinem Testament verlangt er ausdrücklich, daß du nichts
bekommst, und ich werde dir genau das geben, was du verdienst.
Nichts!“
In diesem Moment wollte Darius nur eines, sie töten! Sie hatte
ihn daran erinnert, daß er alles, was einem Menschen etwas bedeuten
könnte, ausgeschlagen oder zerstört hatte. Und Shannon war es, die
den Mut aufbrachte, es ihm ins Gesicht zu sagen.
„John hat niemals ein Testament hinterlassen. Und selbst wenn, werde
ich mir holen, was mir gehört.“
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